Moment 5: Orkan

Wenn die großen Herbststürme wehten, fuhren wir früher gerne hinaus an die Nordseeküste, um uns das Spektakel anzuschauen. Wir waren im nordfriesischen Dagebüll, als ein solcher Sturm zum Orkan wurde – ein Naturereignis, das in mir gleichzeitig Faszination und tiefe Ehrfurcht auslöste. Anfangs noch übermütig, ließ ich mich berauscht vom Wind tragen, lehnte mich ihm entgegen, als sei er eine unsichtbare Mauer, die mich auffing.

Doch der Sturm nahm zu. Je stärker er aus Westen über das Land fegte, desto deutlicher wurde seine Wucht: Die aufgewühlte Nordsee peitschte bald schon mit gewaltigen Wellen gegen die Küste, schäumend, donnernd, unberechenbar. Man schloss die schweren Schleusentore am Hafen, um das Binnenland vor dem wild hereinbrechenden Meer zu schützen. Was eben noch nach Abenteuer schmeckte, verwandelte sich in Furcht. Mit jeder Orkanböe wuchs in mir die Erkenntnis: Wir standen im Angesicht einer mächtigen Naturgewalt, die kein Mensch je beherrschen konnte.

Erschrocken kehrten wir um, suchten demütig Schutz, während da draußen der Orkan das Meer ungebremst gegen die Deiche jagte. Dieses Erlebnis hat sich mir tief eingeprägt: die unermessliche, bedrohliche Naturgewalt und das Bewusstsein, wie klein und machtlos wir Menschen sind.